Anlässlich der UEFA-Fussball-EM 2008 (Österreich/ Schweiz) gab der Verleger, Buchhändler Fussball-Liebhaber Ricco Bilger die Gratis-Broschüre "90 MINUTEN : 90 MINUTES : 90 MINUTI heraus: "Eine Hommage von Fussball-Verrückten aus der Schweizer Literaturszene an die Magie und die Magier des Fussballs," Mein Beitrag befasst sich mit dem Spiel-Objekt der "ballistischen" Begierde per se: Dem Fussball.
Ode an den "Füessball"
PLEASE, LET ME INTRODUCE MYSELF
"Ich werde getreten, gestossen, geschleudert, eingeworfen, abgeworfen,
geschlenzt, angeschnitten, geköpfelt, aufgepumpt, blutbefleckt,
mit "Dulix" getränkt, Hundescheisse verschmutzt, von
Katzen geleckt, platt gesessen, durchgelassen oder festgehalten.
Klebe magnetisch am Fuss, werde weggefaustet, hechtgeköpfelt,
Volley genommen, im Fallen rückgezogen, spitzgekickt, Aussenrist
gepasst, Innenrist geschoben, an die Latte gelupft, an den
Pfosten gedonnert, direkt gespielt, abgelenkt, als Penalty verwandelt,
absatzgekickt, gedribbelt, verpasst, doppelgepasst, kurzgepasst,
fehlgepasst, quergespielt, ins Aus geschubst, ins Abseits
gezirkelt, mit dem Fuss gestreichelt, saubergerieben, geflankt,
jongliert, handgespielt, geküsst, gequetscht, weggeworfen, liegengelassen,
vergessen, geklaut, als Kerze zum Himmel gesandt, im
Trikotschweiss gebadet. Ich werde neu erfunden, ausgetauscht,
gesucht, verloren, gefunden, verflucht, angehimmelt, beschworen,
verregnet, sonnenverbrannt, windverweht, freigestossen, mit der
Brust gestoppt, verstolpert. Und signiert.
Ich spreche alle Sprachen und die Luft geht mir nie aus.
Ich bin das Herzstück der schönsten Nebensache der Welt.
"Dr Füessball."
Als Fussball-Aficionado seit immer und langjähriger Amateur-Spieler hatte ich die Ehre, einen Beitrag im Band "FCZ - Eine Stadt. Ein Verein. Eine Geschichte" (Hrsg. von Michael Lütscher im Verlag Neue Zürcher Zeitung 2010) zu verfassen. Autobiografisch unterfüttert behandelte ich die legendäre Ära des FCZ-Präsidenten Edi "Stumpen" Nägeli in den 1960erjahren. Wo der deutsche Starspieler Klaus Stürmer (1935-1971) zusammen mit dem Schweizer Jakob "Köbi" Kuhn und dem Italiener Rosario "Rosa" Martinelli national wie international Furore machten. Im Aufsatz "Ein Deutscher wird zur FCZ-Legende" versuche ich, die Strahlkraft des mit nur 36 Jahren verstorbenen Klaus Stürmer einzuordnen.
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Ein Deutscher wird zur FCZ-legende
Mein Respekt für Klaus Stürmer fusst
auf der ersten Begegnung mit einer
anderen FCZ-Ikone. Um 1960 brachte
ein Schulfreund einen ein paar Jahre
älteren Italiener zum «Bällele» auf einem
Garagenplatz in Wetzikon mit: Rosario
Martinelli. Er war spindeldünn, scheu,
sagte kein Wort. Wir trauten ihm nichts
zu. Doch als er anfing, den lausigen
Ball mit seinen abgewetzten Strassen-
schuhen zu streicheln, waren wir baff.
Als «Rosa» bald darauf im FC Wetzikon
auflief, staunten wir. Und als ihn FCZ-
Präsident Edi Naegeli in den Letzigrund
lotste, mutierte er zum Aussergewöhn-
lichen. Bald überzeugte er zusammen
mit Köbi Kuhn und einem anderen neuen
Spieler: dem 27-jährigen deutschen In-
ternationalen Klaus Stürmer.
1935 im norddeutschen Glinde ge-
boren, setzte der gelernte Radio-
mechaniker Stürmer in den fünfziger
Jahren – mit seinem Freund und «Fuss-
ballzwilling» Uwe Seeler – im Ham-
burger SV Glanzpunkte. Nach der Meis-
terschaft von 1961 wollte er sein Talent
in der AC Milan vergolden. Das Vorhaben
scheiterte aber am italienischen Im-
portstopp für Ausländer. Zum Glück,
denn so kam der FCZ zu einer stilbilden-
den Nummer 10. Trainer Louis Maurer
und sein verlängerter Arm Klaus Stürmer
dirigierten 1962 /63 eine famose Equipe
mit Jungspunden und Routiniers zum
ersten Meistertitel nach 39 Jahren.
Mein Freund und wandelndes Sport-
lexikon Heinz Schlagenhauf beschreibt
ihn so: «Er war Denker und Lenker, ein
ausgezeichneter Techniker, ball sicher,
torgefährlich, immer anspielbar, ruhig,
fair, mannschaftsdienlich.» Und seine
Tricks, Schüsse aus der Drehung und
Fallrückzieher brachten einen Hauch von
lateinischer Grandezza nach Zürich.
Dass der Spieler mit seiner eleganten
Haartolle im Stil des Filmstars Hardy
Krüger auch das Klischee vom arrogan-
ten Deutschen pulverisierte, belegt unter
anderem ein Zitat aus einem Interview
mit dem Schweizer Fernsehen: «Die
Züricher haben eine junge, technisch
gute Mannschaft. Ich glaube, dass ich
mich da gut einleben werde. Die
Kameraden machen es mir sehr leicht.»
Und umgekehrt – er galt als der beste
Söldner im Schweizer Fussball. Stürmer
symbolisierte den Beginn der golde-
nen FCZ-Jahre, die uns Halbstarke faszi-
nierten: Fussball, Beatmusik und Kino
waren (noch) wichtiger, als ein «Schätz-
li». Per Autostopp, Velo, selten mit dem
Zug, pilgerten wir sonntags zum Kick-
ballett mit Wurst und Durst auf den
«Letzi». Wenn Stürmer und seine Muske-
tiere auswärts spielten, klebten wir am
Radio und lauschten Reportern wie
Jean-Pierre Gerwig, Gody Baumberger
oder Sepp Renggli. Mit anschwellender
Pubertät galt als fussballkompetent, wer
im «Chreis Cheib» oder im «Dörfli» eine
FCZ-Grösse beim Umtrunk, Jassen oder
Flirten mit einem «Chätzli» erspähte.
Von Stürmer ist diesbezüglich nichts be-
kannt. In der Saison 1964 /65 wurde
der Star ohne Allüren als «überzähliger
Ausländer» zu den Young Fellows ab-
geschoben. Welche Demütigung! Zum
Glück holte ihn «Stumpen-Edi» nach
einer missratenen Saison zurück.
Ob Klaus Stürmer ahnte, was das
Schicksal für ihn bereithielt? Seine
Vita nahm die Züge einer griechischen
Tragödie an. Er versuchte sich ohne
Glück als Spielertrainer in Grenchen,
widerstand angeblich den Avancen der
Grasshoppers und liess, wie andere
FCZ-Grössen, seine Karriere im FC
Winterthur ausklingen. 1970 trat er zu-
rück, erkrankte an Krebs, verstarb
am 1. Juni 1971. Als Ehemann und Vater
eines Sohnes, keine 36 Jahre jung.
Klaus Stürmer hat unseren Verein
an der Nahtstelle zum modernen Fuss-
ball geprägt, befruchtet, mit seiner
Haltung geadelt. Er war der gute Deut-
sche aus Glinde – und ist längst eine
Legende.
MICHAEL LANG
Klaus Stürmer war die treibende Kraft für die
beiden Meistertitel 1963 und 1966, und der beste Ausländer
seiner Zeit in der Schweiz.
Typisch:4 0 Stürmers akrobatische
Haltung im Spiel, 1966.
Mit Puskas:4 1 Stürmer beim
Meistercup-Halbfinal 1964 gegen
Real Madrid.
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