film. Bernardo Bertolucci. porträt

 

Dieses Essay über das Leben und Werk des italienischen Meisterregisseurs ist im Programmheft STADTKINO BASEL (2013) im Rahmen einer Filmretrospektive publiziert worden.

 

SOLITÄR UND SPHINX DES ITALIENISCHEN WELTKINOS

Eine eigenwillige Verknüpfung von Poesie und Politik und ein ausserordentliches ästhetisches Stilbewusstsein prägen die meisten seiner Werke. 16 Spielfilme hat Bernardo Bertolucci zwischen 1962 und 2003 inszeniert. Nicht alle unumstritten. Und doch sind viele von ihnen wie Il conformista, Ultimo tango a Parigi oder Novecento in die Annalen der Filmgeschichte eingegangen. Auf ein politisch radikales Frühwerk folgten provokante, opulente Meisterwerke. Als Sohn einer linksintellektuellen Familie und einst bekennender Marxist beherrschte er die hohe Schule des Zitierens von Malerei, Literatur und Musik. Mit seinem Hang zum Voyeurismus und zum kalkulierten Skandal hat er tiefe Fussspuren im Kino des 20. Jahrhunderts hinterlassen. Das Stadtkino Basel würdigt im April sein vielfältiges Schaffen und präsentiert elf seiner Film-Poeme.

 

Die Themen seiner Sinnsuche sind gross und sein Anspruch ist hoch: Bernardo Bertolucci will den Menschen im Minenfeld von politischen, religiösen und kulturellen Gegebenheiten zeigen, der immer auch den Blitzschlägen einer unkontrollierbaren Sexualität ausgesetzt ist. Seine gebrochenen Helden sind meist männlich und ihre Lust ist ihnen oft eine Last. Sein Werk lässt sich keinem Genre zuordnen und ist von Qualitätsschwankungen nicht frei. Er ist als Künstler eine unberechenbare Grösse, ein Solitär, der sich ideologischen, moralischen, kommerziellen Vereinnahmungen seit jeher verweigert.

 

Geboren wird er 1940, im Italien des Mussolini-Faschismus, als erster Sohn einer gutsituierten, linksintellektuellen Familie. Zuerst lebt Bernardo in einem bäuerlichen Dorf bei Parma. Dann zieht die Familie ins mondäne Rom, was dem Bub anfangs nicht gefällt. Er wächst mit dem jüngeren Bruder Giuseppe (1947-2012) heran, mit Mama Ninetta, Lehrerin, und Vater Attilio, Verleger, Poet, Filmkritiker. Das Boheme-Milieu inspiriert ihn. Als Jugendlicher dreht er Kurzfilme, schreibt Gedichte, gewinnt sogar einen Preis. Zum professionellen Film verlockt ihn ein enger Freund des Vaters: Pier Paolo Pasolini, der achtzehn Jahre ältere Schriftsteller, der Filmer werden will. Für seinen Erstling engagiert er den Literaturstudenten Bertolucci junior als Regieassistenten. Accattone, eine hoch gelobte Studie über Menschen in einem urbanen Vorort, hat 1961 Premiere. Im Jahr darauf zieht Bertolucci als Regisseur nach. La commare secca handelt vom Mord an einer Prostituierten und basiert auf einem Skript Pasolinis. Und: Die Schauspielerin Adriana Asti, die er bei den Dreharbeiten zu Accattone kennengelernt hat, wird Bertoluccis Lebensgefährtin.

 

Für den Jungfilmer beginnt jetzt die Suche nach einer eigenen Filmsprache. Hingerissen von der französischen Nouvelle Vague, beeinflusst vom anarchischen Chic eines Jean-Luc Godard entstehen Werke wie Prima della rivoluzione (1964) oder Partner (1968). Bertolucci beschäftigen Fragen wie Identitätssuche, Persönlichkeitsspaltung und bald wird sichtbar, was ihm besonders am Herzen liegt: die Betonung der sorgfältigen Bildgestaltung, die seine besten Werke adelt – zuweilen aber auch wie eine zu dicht gewobene Decke den Inhalt zu ersticken droht. In den Stromschnellen der 1968er-Revolution tritt der Bürgersohn der Kommunistischen Partei Italiens bei, schlittert in eine Depression, beginnt eine freudianische Psychoanalyse. Ein Stimulans: 1970 adaptiert Bertolucci mit seinem Weggefährten, dem Kamera- und Lichtmagier Vittorio Storaro, einen Text von Alberto Moravia: Il conformista erzählt von einem Faschisten in den 1930er-Jahren im Fegefeuer von politischer Verblendung und sexueller Verstörtheit. Ein Meisterwerk.

 

Vom frühen Ruhm beflügelt wagt Bertolucci nun Verwegenes. In Ultimo tango a Parigi (1972) verführt er – inspiriert von Georges Batailles Roman «Le Bleu de ciel» (1937) – den Hollywoodgiganten Marlon Brando und die blutjunge Newcomerin Maria Schneider zu einem Amour-fou-Rondo im Dunstkreis von Sadomasochismus, Existenzangst und Todessehnsucht. Im Vorspann werden die Hauptfiguren notabene mit Gemälden von Francis Bacon kontrapunktiert. Das Werk wird zum Welterfolg und empört Bertoluccis Mentoren: Godard moniert die Koketterie mit dem Kommerzkino. Und Pasolini meint, der Ziehsohn sei der Faszination des Triebhaften erlegen, zu Ungunsten einer politischen Haltung. Ausgerechnet Pasolini , der radikalste aller Filmintellektuellen, wird 1975 , nach Erscheinen seines umstrittensten Opus Salò o le 120 giornate di Sodoma, ermordet.

 

Zur selben Zeit holt Bertolucci zur grossen Gebärde aus. Novecento (1976) ist ein fünfstündiges Epos über die kommunistische Bewegung Italiens, deren Wurzeln Bertolucci – einem Wunschdenken folgend – in der bäuerlichen Emilia Romagna verortet, seiner Heimat. Stars wie Gérard Depardieu oder Robert De Niro beleben das opulente, von der Musik Giuseppe Verdis opernhaft geprägte Episodenfresko. Es verrät eine Tendenz zum Kitsch und wird zum finanziellen Desaster. «Mein Problem ist, die Harmonie zwischen Marx und Freud zu finden», kommentiert Bertolucci. Und entschliesst sich nun wieder für die kleine Geste: Die Mutter-Sohn-Inzeststory La luna (1979) gelingt wie auch das unterschätzte, hochinteressante Entführungsdrama La tragedia di un uomo ridicolo (1981). In cineastischen Kreisen verschafft sich Bertolucci mit diesen Filmen wieder Respekt. Und er heiratet die Filmautorin Clare Peploe, die Muse eines anderen frühen Vorbilds, Michelangelo Antonioni, und Co-Drehbuchautorin von La luna.

 

Jetzt zieht es den Kosmopoliten in die Ferne. Als erster Westler dreht er in der Verbotenen Stadt in Peking. The Last Emperor (1987) erzählt das Lebensdrama des letzten chinesischen Kaisers bis zur Kulturrevolution 1967. Der weltweite Erfolg bringt dem Film neun Oscars ein, darunter je einen für die Beste Regie und den Besten Film. 1990 dreht Bertolucci in der Wüste Marokkos The Sheltering Sky, eine Verbeugung vor dem exzentrischen Komponisten und Schriftsteller Paul Bowles. Visuell wie so oft brillant, schafft er es allerdings nicht, dem sprachlichen Magnetismus von Bowles’ Novelle gerecht zu werden. 1993 beschliesst Bertolucci seine «orientalischen Trilogie» mit The Little Buddha, einem charmanten Bilderbogen über die in Mode gekommene Buddhismus-Begeisterung. Zurück in der westlichen Welt, beginnt Bertolucci sich für eine Jugend zu interessieren, die nicht die politische Revolte anpeilt, sondern im konsumwütigen Multimediazeitalter Orientierung sucht. In Stealing Beauty (1996) zelebriert er in der natürlichen Kulissenidylle der Toskana, man darf es so sagen, mehr den Liebreiz seiner jungen Protagonistin Liv Tyler als die Handlung. Gelungen und provokanter ist dann The Dreamers (2003), wo es um Jugendliche geht, die in der 1968er-Zeit von erotischen Erlebnissen mehr halten als vom Studium von Marx bis Mao. Formal interessant sind hier die zahlreich verwendeten Filmzitate seit der Stummfilmära.

 

Seit der Jahrtausendwende wird Bertolucci von einem Rückenleiden gebeutelt, ist zeitweise immobil. «Man sollte nicht nur meine Filme restaurieren, sondern auch mich», meint er selbstironisch. Und zeigt der Unbill zum Trotz 2012 am Festival in Cannes das wohlwollend aufgenommene, klaustrophobische Kammerspiel Io e te über einen 14-Jährigen.

 

Wie darf man Bertolucci im Kontext der grossen Filmikonen Italiens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einordnen, die er alle überlebt hat? Es fehlt ihm die kompromisslose Radikalität von Pier Paolo Pasolini. Die barocke Vielfalt von Luchino Visconti. Die emotionale Fragilität Michelangelo Antonionis. Und die bauernschlaue Heiterkeit Federico Fellinis. Was ihn auszeichnet, ist der Mut zum Risiko, die hohe Schule des Zitierens von Malerei, Literatur, Musik, das ästhetische Stilbewusstsein. Und genuin ist sein heterogenes Werk dort, wo er sich mit seinen Schauspielern verbrüdert, sie in seelische Abgründe blicken lässt, über ihre Gestaltungskunst Verfehlungen, Verblendungen, Sündhaftigkeiten porentief seziert.

 

Man erinnere sich an die letzten Bilder seines Opus Magnum, Il conformista. Von Flammen schemenhaft erleuchtet ist das Antlitz des gefallenen Faschisten Clerici. Zornig, unerlöst. Und fragend. Es ist das Gesicht von Jean-Louis Trintignant, magistral in Szene gesetzt von Bernardo Bertolucci – dem Freigeist, der Sphinx im zeitgenössischen Filmschaffen.

 

Michael Lang 

BERNARDO BERTOLUCCI
 

SOLITÄR UND SPHINX DES ITALIENISCHEN WELTKINOS

Eine eigenwillige Verknüpfung von Poesie und Politik und ein ausserordentliches ästhetisches Stilbewusstsein prägen die meisten seiner Werke. 16 Spielfilme hat Bernardo Bertolucci zwischen 1962 und 2003 inszeniert. Nicht alle unumstritten. Und doch sind viele von ihnen wie Il conformista, Ultimo tango a Parigi oder Novecento in die Annalen der Filmgeschichte eingegangen. Auf ein politisch radikales Frühwerk folgten provokante, opulente Meisterwerke. Als Sohn einer linksintellektuellen Familie und einst bekennender Marxist beherrschte er die hohe Schule des Zitierens von Malerei, Literatur und Musik. Mit seinem Hang zum Voyeurismus und zum kalkulierten Skandal hat er tiefe Fussspuren im Kino des 20. Jahrhunderts hinterlassen. Das Stadtkino Basel würdigt im April sein vielfältiges Schaffen und präsentiert elf seiner Film-Poeme.

 

Die Themen seiner Sinnsuche sind gross und sein Anspruch ist hoch: Bernardo Bertolucci will den Menschen im Minenfeld von politischen, religiösen und kulturellen Gegebenheiten zeigen, der immer auch den Blitzschlägen einer unkontrollierbaren Sexualität ausgesetzt ist. Seine gebrochenen Helden sind meist männlich und ihre Lust ist ihnen oft eine Last. Sein Werk lässt sich keinem Genre zuordnen und ist von Qualitätsschwankungen nicht frei. Er ist als Künstler eine unberechenbare Grösse, ein Solitär, der sich ideologischen, moralischen, kommerziellen Vereinnahmungen seit jeher verweigert.

 

Geboren wird er 1940, im Italien des Mussolini-Faschismus, als erster Sohn einer gutsituierten, linksintellektuellen Familie. Zuerst lebt Bernardo in einem bäuerlichen Dorf bei Parma. Dann zieht die Familie ins mondäne Rom, was dem Bub anfangs nicht gefällt. Er wächst mit dem jüngeren Bruder Giuseppe (1947-2012) heran, mit Mama Ninetta, Lehrerin, und Vater Attilio, Verleger, Poet, Filmkritiker. Das Boheme-Milieu inspiriert ihn. Als Jugendlicher dreht er Kurzfilme, schreibt Gedichte, gewinnt sogar einen Preis. Zum professionellen Film verlockt ihn ein enger Freund des Vaters: Pier Paolo Pasolini, der achtzehn Jahre ältere Schriftsteller, der Filmer werden will. Für seinen Erstling engagiert er den Literaturstudenten Bertolucci junior als Regieassistenten. Accattone, eine hoch gelobte Studie über Menschen in einem urbanen Vorort, hat 1961 Premiere. Im Jahr darauf zieht Bertolucci als Regisseur nach. La commare secca handelt vom Mord an einer Prostituierten und basiert auf einem Skript Pasolinis. Und: Die Schauspielerin Adriana Asti, die er bei den Dreharbeiten zu Accattone kennengelernt hat, wird Bertoluccis Lebensgefährtin.

 

Für den Jungfilmer beginnt jetzt die Suche nach einer eigenen Filmsprache. Hingerissen von der französischen Nouvelle Vague, beeinflusst vom anarchischen Chic eines Jean-Luc Godard entstehen Werke wie Prima della rivoluzione (1964) oder Partner (1968). Bertolucci beschäftigen Fragen wie Identitätssuche, Persönlichkeitsspaltung und bald wird sichtbar, was ihm besonders am Herzen liegt: die Betonung der sorgfältigen Bildgestaltung, die seine besten Werke adelt – zuweilen aber auch wie eine zu dicht gewobene Decke den Inhalt zu ersticken droht. In den Stromschnellen der 1968er-Revolution tritt der Bürgersohn der Kommunistischen Partei Italiens bei, schlittert in eine Depression, beginnt eine freudianische Psychoanalyse. Ein Stimulans: 1970 adaptiert Bertolucci mit seinem Weggefährten, dem Kamera- und Lichtmagier Vittorio Storaro, einen Text von Alberto Moravia: Il conformista erzählt von einem Faschisten in den 1930er-Jahren im Fegefeuer von politischer Verblendung und sexueller Verstörtheit. Ein Meisterwerk.

 

Vom frühen Ruhm beflügelt wagt Bertolucci nun Verwegenes. In Ultimo tango a Parigi (1972) verführt er – inspiriert von Georges Batailles Roman «Le Bleu de ciel» (1937) – den Hollywoodgiganten Marlon Brando und die blutjunge Newcomerin Maria Schneider zu einem Amour-fou-Rondo im Dunstkreis von Sadomasochismus, Existenzangst und Todessehnsucht. Im Vorspann werden die Hauptfiguren notabene mit Gemälden von Francis Bacon kontrapunktiert. Das Werk wird zum Welterfolg und empört Bertoluccis Mentoren: Godard moniert die Koketterie mit dem Kommerzkino. Und Pasolini meint, der Ziehsohn sei der Faszination des Triebhaften erlegen, zu Ungunsten einer politischen Haltung. Ausgerechnet Pasolini , der radikalste aller Filmintellektuellen, wird 1975 , nach Erscheinen seines umstrittensten Opus Salò o le 120 giornate di Sodoma, ermordet.

 

Zur selben Zeit holt Bertolucci zur grossen Gebärde aus. Novecento (1976) ist ein fünfstündiges Epos über die kommunistische Bewegung Italiens, deren Wurzeln Bertolucci – einem Wunschdenken folgend – in der bäuerlichen Emilia Romagna verortet, seiner Heimat. Stars wie Gérard Depardieu oder Robert De Niro beleben das opulente, von der Musik Giuseppe Verdis opernhaft geprägte Episodenfresko. Es verrät eine Tendenz zum Kitsch und wird zum finanziellen Desaster. «Mein Problem ist, die Harmonie zwischen Marx und Freud zu finden», kommentiert Bertolucci. Und entschliesst sich nun wieder für die kleine Geste: Die Mutter-Sohn-Inzeststory La luna (1979) gelingt wie auch das unterschätzte, hochinteressante Entführungsdrama La tragedia di un uomo ridicolo (1981). In cineastischen Kreisen verschafft sich Bertolucci mit diesen Filmen wieder Respekt. Und er heiratet die Filmautorin Clare Peploe, die Muse eines anderen frühen Vorbilds, Michelangelo Antonioni, und Co-Drehbuchautorin von La luna.

 

Jetzt zieht es den Kosmopoliten in die Ferne. Als erster Westler dreht er in der Verbotenen Stadt in Peking. The Last Emperor (1987) erzählt das Lebensdrama des letzten chinesischen Kaisers bis zur Kulturrevolution 1967. Der weltweite Erfolg bringt dem Film neun Oscars ein, darunter je einen für die Beste Regie und den Besten Film. 1990 dreht Bertolucci in der Wüste Marokkos The Sheltering Sky, eine Verbeugung vor dem exzentrischen Komponisten und Schriftsteller Paul Bowles. Visuell wie so oft brillant, schafft er es allerdings nicht, dem sprachlichen Magnetismus von Bowles’ Novelle gerecht zu werden. 1993 beschliesst Bertolucci seine «orientalischen Trilogie» mit The Little Buddha, einem charmanten Bilderbogen über die in Mode gekommene Buddhismus-Begeisterung. Zurück in der westlichen Welt, beginnt Bertolucci sich für eine Jugend zu interessieren, die nicht die politische Revolte anpeilt, sondern im konsumwütigen Multimediazeitalter Orientierung sucht. In Stealing Beauty (1996) zelebriert er in der natürlichen Kulissenidylle der Toskana, man darf es so sagen, mehr den Liebreiz seiner jungen Protagonistin Liv Tyler als die Handlung. Gelungen und provokanter ist dann The Dreamers (2003), wo es um Jugendliche geht, die in der 1968er-Zeit von erotischen Erlebnissen mehr halten als vom Studium von Marx bis Mao. Formal interessant sind hier die zahlreich verwendeten Filmzitate seit der Stummfilmära.

 

Seit der Jahrtausendwende wird Bertolucci von einem Rückenleiden gebeutelt, ist zeitweise immobil. «Man sollte nicht nur meine Filme restaurieren, sondern auch mich», meint er selbstironisch. Und zeigt der Unbill zum Trotz 2012 am Festival in Cannes das wohlwollend aufgenommene, klaustrophobische Kammerspiel Io e te über einen 14-Jährigen.

 

Wie darf man Bertolucci im Kontext der grossen Filmikonen Italiens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einordnen, die er alle überlebt hat? Es fehlt ihm die kompromisslose Radikalität von Pier Paolo Pasolini. Die barocke Vielfalt von Luchino Visconti. Die emotionale Fragilität Michelangelo Antonionis. Und die bauernschlaue Heiterkeit Federico Fellinis. Was ihn auszeichnet, ist der Mut zum Risiko, die hohe Schule des Zitierens von Malerei, Literatur, Musik, das ästhetische Stilbewusstsein. Und genuin ist sein heterogenes Werk dort, wo er sich mit seinen Schauspielern verbrüdert, sie in seelische Abgründe blicken lässt, über ihre Gestaltungskunst Verfehlungen, Verblendungen, Sündhaftigkeiten porentief seziert.

 

Man erinnere sich an die letzten Bilder seines Opus Magnum, Il conformista. Von Flammen schemenhaft erleuchtet ist das Antlitz des gefallenen Faschisten Clerici. Zornig, unerlöst. Und fragend. Es ist das Gesicht von Jean-Louis Trintignant, magistral in Szene gesetzt von Bernardo Bertolucci – dem Freigeist, der Sphinx im zeitgenössischen Filmschaffen.

 

Michael Lang

 

(Dieses Porträt über den italienischen Filmmaestro Bernardo Bertolucci entstand als Auftragsarbeit für das Statdkino Basel im März 2013).