film. Sean Penn. porträt.

 

Essay über Leben und Werk des amerikanischen  Schauspielers und Filmautors. Erschienen in der NZZamSonntag (2011).


NZZ am Sonntag; 11.09.2011; Ausgaben-Nr. 37; Seite 89

Zurich Film Festival (qs)

Rebellischer Freigeist

Das Zurich Film Festival ehrt Sean Penn mit dem Golden Icon Award. Der amerikanische Regisseur und Schauspieler ist eine Ikone unserer Zeit – und stets auf der Suche nach sich selbst. Von Michael Lang

.Der Sohn der US-Schauspielerin Eileen Ryan und des Regisseurs Leo Penn (1921–1998) wuchs mit zwei Brüdern auf. Der ältere, Michael, ist Pop- und Soundtrack-Komponist. Der jüngere, Chris, war ein hochtalentierter Schauspieler und ist 2006 an einem Herzleiden verstorben. Zur Penn-Clique, damals im Beach-Boy-Milieu an Kaliforniens Surf-Küsten von Malibu bis Santa Monica, gehörten die Halbbrüder Charlie Sheen und Emilio Estevez sowie Rob Lowe. Man drehte Kurzfilme und lechzte danach, im nahe gelegenen Filmolymp Hollywood Furore zu machen.

Der Plan gelang, doch keiner brachte es so weit wie Sean Penn. Vielleicht darum, weil er sich an seinem eigenen Vater orientierte – Leo Penn, einem patriotischen Aufrechten. Im Zweiten Weltkrieg als Soldat ausgezeichnet, geriet Leo Penn in den Fünfzigern wie manche Filmschaffende ins Visier des Kommunistenhetzers Joseph McCarthy. Im Gegensatz zu anderen liess sich Penn aber nicht auf erpresserische Deals mit den ideologischen Saubermännern ein. Die Prestigelaufbahn in der US-Filmszene blieb ihm deshalb verwehrt. Penn Senior verdingte sich im Fernsehen und inszenierte Serien wie «Bonanza» oder «Columbo».

Sozial engagiert

Sein Vater sei sehr mutig gewesen, sagte Penn einmal, und dieser Mut habe auch ihn angetrieben. Er hat ihn hellhörig gemacht für Staatswillkür, Ungerechtigkeit, Missstände und seine intellektuell-artistische Sensibilität befeuert. In über 50 Filmen demonstrierte Penn seit drei Jahrzehnten, warum man ihm einst den Übernamen «Sean De Niro» verliehen hat. Er ist ein akribischer Tüftler, der seine oft extravaganten, ja Borderliner-Rollen punktgenau austariert. Etwa als Häftling in der Todeszelle in «Dead Man Walking» (1995), als Frontsoldat in «The Thin Red Line» (1998), als Behinderter in «I Am Sam» (2001) und als Herzkranker in «21 Grams» (2003).

Kompromissloses Engagement und Courage sind Tugenden, die Sean Penn auch im Leben ohne Drehbuchvorlage und Regieanweisungen auszeichnen. Wenn ihm etwas sauer aufstösst, in der Politik oder im sozialen Umfeld, reagiert er wie ein aufgeschreckter Tiger: blitzschnell und unberechenbar. Im Irakkrieg schaltete er in der «Washington Post» ein Inserat als Protest gegen die Politik von Präsident George W. Bush, 2005 reiste er ins Kriegsgebiet sowie nach Iran. Oder er verbrüderte sich mit dem US-kritischen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez und traf den kubanischen Staatschef Raúl Castro zum Interview.

Ähnliche Gesten kennt man von anderen Kulturtätern. Allerdings sind sie oft als PR in eigener Sache durchschaubar. Die Pennsche Aufmüpfigkeit hat aber mehr Gewicht. Sie wirkt glaubwürdiger, weil dieser Frei- geist nicht nur palavert, sondern zu- und anpackt: Als 2005 der Hurrikan «Katrina» in Louisiana wütete, war Penn zur Stelle. Nach dem Erdbeben auf Haiti 2010 liess er alle Filmprojekte sausen und schuftete monatelang in einem Camp für Überlebende. So weit gehen Promi-Gutmenschen mit einem vorgetäuschten Helfersyndrom eher nicht.

Dem «Phänomen Penn» sollte man sich ohne den Blick auf sein Umfeld mit Freunden und Mentoren nicht annähern. Ein Penn-Vertrauter bis in den Tod war der radikale Poet Charles Bukowski (1920– 1994). Nach zwei weiteren benannte Penn gar seinen Sohn Hopper Jack: Dennis Hopper und Jack Nicholson. Der erste verhalf 1988 dem jungen Wilden als Regisseur des Cop-Dramas «Colors» zum Durchbruch. Nicholson gab Penn 1995 in dessen zweitem Regiefilm, «The Crossing Guard», Star-Flankenschutz. 2001 liess er sich unter Penns Regie in «The Pledge», einem Thriller nach der Dürrenmatt-Novelle «Der Verdacht», zu einer grandiosen Darstellerleistung verführen.

Woody Allen wiederum, der skurrile Menschenbeobachter, lotste Penn 1999 im Fake-Dokudrama «Sweet and Lowdown» in eine Kür von chaplinesker Tragikomik: Penn spielte einen Jazzgitarristen zwischen Genie und Wahnsinn. Und der Doyen des US-Qualitätsfilms schliesslich, Clint Eastwood, liess ihn in «Mystic River» (2003) als Vater eines Mordopfers mit einer Intensität agieren, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt.

Im wahren Leben haftet Sean Penn der zweifelhafte Ruf eines Bad Boys an. Begonnen hat das Mitte der Achtziger und seiner Ehe mit dem Popstar Madonna. Die Amour fou führte artistisch nur zu einem gemeinsamen Auftritt im dürftigen Streifen «Shanghai Surprise» (1986), lockte aber die Medien an. Seither lässt Sean Penn ab und zu die Fäuste fliegen, wenn ihm die Paparazzi-Meute zu nahe kommt. Das brachte ihn schon vor den Richter und ins Gefängnis. Seinen Status als sensitiver Ausnahmekönner haben diese cholerischen Ausrutscher nicht beschädigt.

Notorischer Frauenheld

Der Privat- und Familienmann Penn hält sich heute bedeckt, was ihm nicht immer gelingt im Dunstkreis der Glanz-und-Gloria-Kultur des Filmbusiness. Penn gilt bei den Boulevardmedien als notorischer Womanizer – es kursieren Namen wie Susan Sarandon, das Popsternchen Jewel oder Scarlett Johansson. Dabei sei unterstellt, dass das Herz des furiosen Sensiblen weiter für die wunderbare Actrice Robin Wright schlägt. Im feinen Filmdrama «She's So Lovely» (1997) turtelten die beiden, notabene am Beginn ihrer Ehe. Daraus gingen ein Sohn und eine Tochter hervor und über viele Jahre unzählige Depeschen über Affären, Trennungen, Versöhnungen. Seit August 2010 sind Sean und Robin rechtmässig geschiedene Leute.

Sean Penn hat einmal erwähnt, dass er die Menschen liebe, aber sich mit einzelnen oft schwertue. Man begreift diese Aussage besser, wenn man seine jüngste Regiearbeit «Into the Wild» (2008) – die Odyssee des Aussteigers Chris McCandless – sowie seinen Auftritt als schwuler Polit-Populist in «Milk» (2008) Revue passieren lässt. Dann ist das Charisma des Sean Penn spürbar, das anziehende Ineinanderfliessen von melancholischer Einsamkeit und viriler Fragilität. Je mehr man sich als Zuschauer auf diese herbe Magie einlässt, umso klarer wird, dass da einer auf der Suche nach sich selbst ist. Vor unser aller Augen.

Highlights aus dem Werk von Sean Penn

Das Filmpodium Zürich zeigt eine Retrospektive mit acht Filmen von oder mit dem Golden-Icon-Star

The Indian Runner (1991)

Regie und Buch: Sean Penn Die Basis für Sean Penns emotional berührendes Regiedebüt liefert der Song «Highway Patrolman» von Bruce Springsteen. Erzählt wird mit zahlreichen Rückblenden in die Vergangenheit die Story eines Sheriffs in den sechziger Jahren, der in Nebraska mit aller Härte des Gesetzes gegen seinen eigenen Bruder, einen traumatisierten Vietnamkrieg-Heimkehrer, vorgehen muss. Sean Penns Mutter Eileen Ryan und sein Förderer Dennis Hopper spielen Nebenrollen. Zu den Hauptdarstellern gehören Viggo Mortensen, David Morse und Valeria Golino. 24. 9., 15 Uhr, 29. 9., 18.15 Uhr im Filmpodium.

Dead Man Walking (1995)

Regie: Tim Robbins Sean Penn verkörpert in diesem auf einer wahren Geschichte basierenden Drama einen reuelosen, rassistischen Delinquenten im Todestrakt. Er kontaktiert eine Nonne, die eine neue Untersuchung seines Falls erwirken und ihn vor der Hinrichtung bewahren soll. Den Film realisierte Penn zusammen mit seinen demokratischen Mitstreitern Tim Robbins (Regie) und Susan Sarandon, welche die Nonne spielt und dafür den Oscar als beste Hauptdarstellerin bekam. Der hoch emotionale Film ist ein aufwühlendes Plädoyer gegen die Todesstrafe. 23. 9., 15 Uhr und 27. 9., 21 Uhr im Filmpodium.

Into the Wild (2007)

Regie und Buch: Sean Penn Ein hinreissend inszeniertes, visuell bestechend gestaltetes und mit Emile Hirsch kongenial besetztes Filmepos über das halb authentische Schicksal des 1992 am Mount McKinley tot aufgefundenen jungen Zivilisationsflüchtlings Chris McCandless. Die Story basiert auf einer Reportage von Jon Krakauer. In seinem bisher letzten Regiefilm offenbart Sean Penn als Autor sein stupendes Talent als metaphorischer, emotionaler Erzähler und subtiler Schauspieler-Dirigent. 28. 9., 21.15 Uhr in Anwesenheit von Sean Penn im Corso 1 und 1. 10., 17.30 Uhr im Filmpodium.

Milk (2008)

Regie: Gus Van Sant In diesem authentischen Doku-Drama wird die Geschichte des homosexuellen Bürgerrechtlers und Politikers Harvey Milk (1930–1978) aufgerollt. Milk war ein Vorreiter der Schwulen- und Lesbenbewegung. Er wurde in San Francisco zum Stadtrat gewählt und kurz darauf zusammen mit dem Bürgermeister von einem Amtskollegen ermordet. Penn zieht als Titelfigur inbrünstig alle Register seines Könnens. Für seine Leistung wurde ihm nach «Mystic River» der zweite Oscar als bester Schauspieler in einer Hauptrolle verliehen. Michael Lang 2. 10. um 20.45 Uhr im Filmpodium.

Sean Penn, 51, ist ein

Star mit Haltung. (Cannes, 20. 5. 2011)

 

Milos Forman. Regisseur.

NZZ am Sonntag 12.09.2010

Kultur

Star mit Prinzipien

Milos Forman Retrospektive

Das Zürcher Filmfestival ehrt den tschechisch-amerikanischen Meisterregisseur und zweifachen Oscar-Gewinner Milos Forman, 78. Er wird eine Retrospektive und eine Master Class begleiten sowie seinen Film «A Walk Worthwhile» als Schweizer Premiere vorstellen.

Von Michael Lang

Jan Tomás – genannt Milos – Forman ist seit den späten siebziger Jahren amerikanischer Staatsbürger und lebt in den USA. Geboren wird er 1932 in Čáslav nahe Prag in eine protestantische Lehrerfamilie. Seine Kindheit ist von traumatischen Erlebnissen in der vom nationalsozialistischen Terror des Zweiten Weltkriegs gebeutelten Heimat bestimmt. Formans Eltern werden von deutschen Besatzern verhaftet und in Konzentrationslager deportiert. Mutter Anna kommt in Auschwitz, Vater Josef Forman in Buchenwald ums Leben. Mit seinen beiden Brüdern findet Milos bei Verwandten und Freunden Unterschlupf und lebt nach Kriegsende 1945 in einem Waiseninternat im Badeort Poděbrady. Dort lernt er das später legendäre militante Antikommunisten-Brüderpaar Ctirad und Josef Mašín kennen. Und er gewinnt Václav Havel zum Freund, den künftigen Dissidenten und Staatspräsidenten der Tschechischen Republik. >> Mehr